Veränderung des Schweregrades von peripheren Fazialisparesen durch Oberflächenelektrostimulation – Vergleich etablierter Ratingscores mit der euklidischen Vermessung von Fotos
A. Kunzler, J. Beckmann, G. F. Volk, A.-M. Kuttenreich, M. Heinrich, O. Guntinas-Lichius
Fazialis-Nerv-Zentrum Jena, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland
Hintergrund
Die periphere Fazialisparese ist die häufigste Hirnnervenläsion und führt primär zum Funktionsverlust der mimischen Muskulatur und ästhetischen, funktionellen und sozialen Folgen (1). Der Einsatz von Elektrostimulation (ES) zur Linderung dieser Symptome hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt (2, 3). Die ES wird seit mehreren Jahren bei Patient:innen bei ausbleibender Reinnervation oder nach operativen Fazialisnervrekonstruktionen am Fazialis-Nerv-Zentrum Jena des Universitätsklinikums Jena eingesetzt.
Der Schweregrad der FP wird in der klinischen Praxis meist mit Hilfe von Ratingscores beurteilt. Etablierte Systeme sind dabei der House-Brackmann Score (HB) (4), das Sunnybrook Facial Grading System (SFGS) (5) und der eFACE (electronic, clinician-graded facial function scale) (6). Die Software Emotrics bietet hingegen eine automatische Lokalisierung von Gesichtsmerkmalen (7), die eine Rater-unabhängige Bewertung ermöglicht. Durch das Fazialis-Nerv-Zentrum wurde deshalb auf Basis von Quellcodes von Emotrics dieses Programm zu JAuto-eFace weiterentwickelt, in welchem zusätzlich die Rater-abhängigen Gradings eingefügt wurden.
Zielsetzung:
Ziel dieser Studie ist die Messung der Veränderung des Schweregrades von peripheren Fazialisparesen durch Oberflächenelektrostimulation. Zur Beurteilung dienen die o.g. Ratingscores, welche mit der euklidischen Vermessung durch Emotrics verglichen werden.
Methoden:
In dieser prospektiven klinischen Studie wurden aktuell 11 Patient:innen mit einer peripheren Fazialisparalyse eingeschlossen, welche Oberflächen-ES in der Heimanwendung durchführen. Alle 4 Wochen erfolgt eine Prüfung der Willküraktivität der denervierten Muskeln und Anfertigung von Farb-2D-Fotoserien (Abb. 1) vor ES, die eine Bewertung durch die wichtigsten Fazialisparese-Scoring-Systeme erlauben (8). Als Kontrollgruppe dienen Fotoserien von 8 Patient:innen, die ohne ES eine spontane Reinnervation verzeichneten. Das Rating der Fotos anhand des HB, des SFGS und des eFACE wird durch 3 einfach verblindete Novizen- und 2 einfach verblindete Experten-Rater durchgeführt. Dem gegenüber erfolgt eine euklidische Vermessung in Emotrics (Abb. 2).
Ergebnisse:
In einer vorherigen Studie wurden bereits 5 Patient:innen mit den oben genannten Grading-Scores durch 3 unverblindete Experten-Rater ausgewertet und mit den Rater-unabhängigen Ergebnissen von Emotrics verglichen. Bei 4 der 5 Patient:innen kam es spontan oder nach chirurgischer Intervention im Laufe des Beobachtungszeitraums von ca. einem Jahr zu einer Reinnervation und damit zu einer deutlichen Besserung der Paralyse. Im okulären Bereich konnte bei 3 der 4 Patient:innen mit Reinnervation ein positiver Effekt der Elektrostimulation sowohl in der Rater-unabhängigen als auch in der Rater-abhängigen Analyse nachgewiesen werden. Die Elektrostimulation im oralen Areal zeigte subjektiv als auch metrisch bei 2 der 4 Studienteilnehmer:innen mit Reinnervation einen positiven Effekt.
Diese Studie wurde im Rahmen der aktuellen Arbeit modifiziert und erweitert. Die Ergebnisse stehen zum aktuellen Zeitpunkt noch aus.Literatur:
1 Ishii LE, Nellis JC, Boahene KD, Byrne P, Ishii M. 2018. The Importance and Psychology of Facial Expression. Otolaryngol Clin North Am, 51 (6):1011-1017.
2 Gittins J, Martin K, Sheldrick J, Reddy A, Thean L. 1999. Electrical stimulation as a therapeutic option to improve eyelid function in chronic facial nerve disorders. Invest Ophthalmol Vis Sci, 40 (3):547-554.
3 Puls WC, Jarvis JC, Ruck A, Lehmann T, Guntinas-Lichius O, Volk GF. 2020. Surface electrical stimulation for facial paralysis is not harmful. Muscle Nerve, 61 (3):347-353.
4 House JW, Brackmann DE. 1985. Facial nerve grading system. Otolaryngol Head Neck Surg, 93 (2):146-147.
5 Ross BG, Fradet G, Nedzelski JM. 1996. Development of a sensitive clinical facial grading system. Otolaryngol Head Neck Surg, 114 (3):380-386.
6 Banks CA, Bhama PK, Park J, Hadlock CR, Hadlock TA. 2015. Clinician-Graded Electronic Facial Paralysis Assessment: The eFACE. Plast Reconstr Surg, 136 (2):223e-230e.
7 Guarin DL, Dusseldorp J, Hadlock TA, Jowett N. 2018. A Machine Learning Approach for Automated Facial Measurements in Facial Palsy. JAMA Facial Plast Surg, 20 (4):335-337.
8 Schaede RA, Volk GF, Modersohn L, Barth JM, Denzler J, Guntinas-Lichius O. 2017. [Video Instruction for Synchronous Video Recording of Mimic Movement of Patients with Facial Palsy]. Laryngorhinootologie, 96 (12):844-849.
Kontakt: annika.kunzler@uni-jena.de