Strukturelle und funktionelle Veränderung nach peripherer Deefferentierung

 Untersuchungen der mimischen Muskulatur und deren kortikaler Repräsentation bei Lähmung, Alterung und unter Elektrostimulation

 

Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde / Fazialis-Nerv-Zentrum Jena
Gabriel Meincke, Johannes Krauß, Jan Beckmann, Maren Geitner, Gerd Fabian Volk

Theoretischer Hintergrund

Seit einigen Jahren gewinnt die funktionelle Elektro-stimulation (FES) als Therapiemaßnahme bei Muskel-atrophie an Bedeutung [1]. Die Atrophie der mimischen Muskulatur durch Deefferentierung ist ein Charakteristikum, welches im Rahmen peripherer Fazialisparesen auftritt. Bleibt eine Reinnervation aus, kommt es zur Volumenabnahme der Gesichts-muskulatur sowie zu deren Fibrosierung [2]. Insgesamt führt dies zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten. Er wird in elementaren Bestandteilen des Alltages wie beispielsweise der Nahrungs-aufnahme, der mimischen Kommunikation sowie in seinem subjektiven ästhetischen Befinden behindert.

Zielsetzung

Mittels bildgebender Verfahren kann der zu untersuchende Therapieerfolg der FES quantifiziert werden. Es soll im Rahmen einer Therapiestudie die strukturelle und funktionelle Veränderung nach peripherer Deefferentierung untersucht werden. Ziel ist es dabei, den positiven Einfluss der FES auf die Atrophie der mimischen Muskulatur zu zeigen. Als Referenzgruppe dienen Probanden ohne Fazialisparese.

Methoden

Verlaufskontrolle peripherer Veränderungen

In der Therapiestudie soll durch standardisierte Fotoaufnahmen die Verlaufskontrolle der Fazialis-parese erfolgen. Ein positiver Effekt unmittelbar nach FES konnte bereits durch Fotodokumentation nachgewiesen werden [3]. Zusätzlich sollen 3D-Videos der mimischen Muskulatur aufgenommen werden. Das Grading der Parese erfolgt durch das Sunnybrook Facial Grading System (SGFS) und die Messung der Lebensqualität mittels Facial Disabilitiy Index (FDI) und Facial Clinimetric Evaluation (FaCE).

Durch Sonografie sollen Volumenänderungen der mimischen Muskulatur unter Anwendung der FES quantifiziert werden. Einflüsse der Elektrostimulation auf molekularer Ebene sollen erstmalig mittels multispektraler optoakustischer Tomografie (MSOT) dargestellt werden (Abb. 1). Kurzfristig soll ein erhöhter Gehalt an oxygeniertem Hämoglobin nach erfolgter FES nachgewiesen werden. Langfristig soll durch Bestimmung des intramuskulären Kollagen-gehalts eine Abnahme der Fibrosierung unter Elektro-stimulation untersucht werden.

Die Durchführung einer funktionellen Magnet-resonanztomografie (fMRT) erlaubt Rückschlüsse auf die zentrale Plastizität und Konnektivität zu ziehen. Eine anatomische Magnetresonanztomografie (aMRT) wird zusätzlich die Volumenveränderung der mimischen Muskulatur ermitteln.

Sonografie

Abb. 1: Sonografie des M. zygomaticus major, links im entspannten und rechts im kontrahierten Zustand [4]

Durchführung

Voraussetzung zur Studienteilnahme ist, dass in der Elektromyografie (EMG) des Nervus facialis keine Zeichen einer Rest- oder Reinnervation der mimischen Muskulatur darstellbar sind. Die Studie endet für einen teilnehmenden Patienten mit dem Auftreten von EMG-Potentialen oder spätestens nach einem Jahr, falls diese nicht eintreten.

Zu Beginn der Studie werden im Rahmen eines Screenings demografische Daten (Alter, Geschlecht) und die Anamnese erhoben. Außerdem erfolgt hier die Erhebung der fazialisspezifischen Lebensqualität mittels FaCE und FDI. Es wird ein Fotodatensatz und ein 3D-Video der mimischen Gesichtsmuskulatur aufgenommen. Das Grading der peripheren Fazialis-parese wird mittels SGFS durchgeführt. Die mimische Muskulatur wird mittels aMRT, Sonografie und MSOT beurteilt. Die Konnektivität wird im fMRT ermittelt (Abb. 2).

Im Abstand von vier Wochen ab Studienbeginn erfolgen Wiedervorstellungen des Patienten, in denen erneut die Bildgebung erfolgt, um den Verlauf der Parese erfassen zu können. Dabei führt jeder Proband zweimal täglich selbst eine FES an sich durch und dokumentiert diese. Zu jedem Vorstellungstermin findet zusätzlich eine im Fazialis-Nerv-Zentrum durchgeführte FES statt. Diese dient dazu, den unmittelbaren Effekt der Elektrostimulation mittels Sonografie und MSOT quantifizieren zu können. Die MSOT wird daher jeweils 30 Minuten vor und nach der FES durchgeführt.

Abb. 2: Übersicht über das Studienprotokoll bei Patienten mit peripherer Fazialisparalyse

Erstellen einer Referenzgruppe

Um Aussagen über die Reliabilität der Messmethoden machen zu können, wird eine Referenzgruppe mit gesunden Probanden ohne Fazialisparese erstellt. Diese werden sich zu lediglich zwei Zeitpunkten im Fazialis-Nerv-Zentrum in Jena vorstellen. Es werden auch hier alle bildgebenden Verfahren durchgeführt sowie eine vor Ort stattfindende FES. Die Probanden führen keine FES zu Hause durch. Außerdem wird in der Referenzgruppe eine mögliche Altersatrophie der mimischen Muskulatur untersucht.

Ausblick

In  einer wissenschaftlichen Arbeit am Universitäts-klinikum Jena konnte bereits veranschaulicht werden, dass sich mittels Fotodokumentation direkte Effekte der funktionellen Elektrostimulation auf Patienten mit Fazialisparese nachweisen lassen [5]. Bei einer Mehr-zahl der Patienten konnte in der beschriebenen Arbeit ein positiver Effekt auf die periorbitale mimische Muskulatur nachgewiesen werden, der sich als ein-deutige Verkleinerung der Lidspalte äußerte (Abb. 3, 4).   

Abb. 3: Vertikale Distanz zwischen Ober- und Unterlid vor und nach FES

Abb. 4: Effekte der FES auf das Augenareal – „+“: positiver Effekt, „-“: negativer Effekt, „0“: kein Effekt nachweisbar

Quellen

[1]: Puls WC, Jarvis JC, Ruck A et al. (2020) Surface electrical stimulation for facial paralysis is not harmful. Muscle Nerve 61(3): 347–353

[2]: Rosson GD, Redett RJ (2008) Facial palsy: anatomy, etiology, grading, and surgical treatment. J ReconstrMicrosurg 24(6): 379–389

[3]: Beckmann J et al. (2021) Wie bewerten wir periphere Fazialisparesen: Der Vergleich einer subjektiven Bewertung gegenüber einer metrischen Analyse von Fotos von Erkrankten – Data not published

[4]: Volk GF (2018) Instruction for the sonography of the facial muscles: https://www.degum.de/sektionen/kopf-hals/informationen-zum-fach.html, 01.06.21

[5]: Beckmann J et al. (2021) Wie bewerten wir periphere Fazialisparesen: Der Vergleich einer subjektiven Bewertung gegenüber einer metrischen Analyse von Fotos von Erkrankten – Data not published

Kontakt: johannes.krauss@uni-jena.de